Von Stars und Helden auf der next09

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Jeff Jarvis (Star) im Gespräch mit Martin Oetting (Held) auf der next09 Foto: next09

Wer gilt als Star auf einem großen Kongress? Das ist meistens schon klar, sobald das Programm erscheint. Die großen Vordenker ihrer Zunft bekommen den größten Saal, die attraktivsten Zeiten, sie schmücken die Vorankündigungen und ihre Vorträge heißen ”Keynotes“. Doch die Stars der internationalen Webszene hielten beim Hamburger Webkongress next09  – zumindest in ihren Keynotes – nicht das, was ich mir von ihnen versprochen hatte.

Journalistik-Professor, Blogger und Buchautor Jeff Jarvis zog zwar eine mitreißende Show ab und zog das Publikum mit seiner Energie und seinem Wortwitz in seinen Bann. Seine Thesen finde ich ohnehin sehr logisch und überzeugend. Inhaltlich hatte ich allerdings mehr erwartet als ein hundertprozentige Wiedergabe von Auszügen aus seinem neuen Buch ”What would Google do?“ Die letzten Kapitel daraus hatte ich just in der Bahnfahrt nach Hamburg noch zu Ende gelesen und deshalb kannte ich auch die scheinbar spontanen Anekdoten schon. Die stammen nämlich auch aus dem Buch. Ein großes Highlight war Jarvis für mich dennoch. Erstens, weil er im Interview mit mir die Thesen aus seinem Buch vertieft hat. Und zweitens wegen der gelungenen Diskussion am zweiten Tag mit Umair Haque vom Havas Media Lab. Mehr zu Jarvis demnächst im mediummagazin (Print) und auf diesem Blog.

Umair Haque war allerdings mit seiner Keynote auch so ein Fall. Seine Thesen über die strukturelle Krise traditioneller Marktmodelle und den Mangel an Innovation und Kooperation mit Nutzern sind an sich so profund und radikal, dass daraus ebenfalls ein guter Vortrag hätte werden können. Wurde es aber nicht. Stattdessen klaffte eine gewaltige Schere zwischen Haques völlig überfrachteten webzwonulligen Mindmapping-Folien (Prezi), in denen er viel zu schnell herumklickte, und einer eher gleichförmig dahinplätschernden Rede.

Andrew Keen, der große Skeptiker des Social Web, weiß wiederum, wie man eine eindringliche Rede hält. Rein rhetorisch. Doch er ist ein düsterer Mahner. In innovativen  Formen von Kommunikation und Geschäftsmodellen im Web sieht er bis zum Beweis des Gegenteils erst einmal das Schlechteste. Bei Jarvis verlässt man den Saal und sieht neue Chancen, bei Keen wird man schon während seines Vortrags depressiv.

Kommen wir nun zu den Helden des Kongresses. Das waren für mich eindeutig Viral Marketing-Berater Martin Oetting von trnd, Sven Markschläger, Digital Marketing Chef bei Jägermeister und Moderator Sascha Lobo im völlig überfüllten Track3-Raum beim Panel „Viral online gegen viral offline“. Angestachelt von Lobo, möglichst knapp und dabei möglichst kontrovers, ungerecht und vereinfachend zu sein, zerlegte Oetting  in wenigen Minuten das typische Marketinggefasel dieser Zeit („Wir müssen jetzt mal was Virales machen“).

Oetting warnt Marketer davor, den Webuser nur als Klickvieh zu betrachten, der lustige YouTube-Clips anklicken und verbreiten soll. Das tun die Nutzer zwar mitunter wie gewünscht, erinnern sich aber oft nicht daran, für was in den Filmchen eigentlich geworben wurde. Oettings Tipp für Marketer: Nutzer im Social Web nicht beschallen, sondern ihnen zuhören. Denn im Netz finden Gespräche statt, so wie offline im Tante-Emma-Laden. ”Viral heißt, den Tante-Emma-Effekt skalieren“, sagt Oetting. Und: „Wer sich heutzutage in der knallharten Wettbewerbsituation traut, mit einem richtig schlechten Produkt in den Markt zu gehen und glaubt, Werbung könnte das Problem lösen, dem ist nicht zu helfen.“

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Markschläger ist der strategische Kopf hinter der ”Kein Jägermeister“-Kampagne, die bis vor einem Jahr als eine der besten viralen Kampagnen in Deutschland lief. Allein bei YouTube wurden die sieben Clips der Kampagne mehr als 300.000 Mal abgerufen. Der eigentliche Erfolg bemisst sich allerdings nicht in Klicks, sondern daran, dass Fans hinterher Jägermeister beschworen, das fiktive Produkt nun auch tatsächlich anzubieten. Doch da musste Jägermeister passen, erzählte der Marketingmann. Als Familienunternehmen mit einer Monomarke bringt man nicht mal eben ein Witz-Produkt in den Markt, von dem man nicht weiß, wieviele Viral-Fans das gewollt auf langweilig getrimmte Zeug dann auch tatsächlich kaufen. Wie das alles rüberkam, war kurzweilig und überzeugend und alles andere als eine Marketing-Insider-Diskussion.

Zum Schluss noch ein Dank an die Veranstalter: Es hat Spaß gemacht, war interessant, hochprofessionell organisiert und ganz überwiegend kreisten die Diskussionen nicht selbstreferentiell um die Social-Web-Blase. Ein kurzes Fazit habe ich auch im Thomas Knüwers kleiner Abschluss-Umfrage gezogen. Das Video ist eingebettetet in sein Fazit auf seinem Blog (dem ich vollkommen zustimme). Wenn das jetzt öfters geschieht mit den spontanen Videoumfragen, muss ich mal ein Kameratraining mitmachen 🙂

9 Antworten zu “Von Stars und Helden auf der next09

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  3. Bei Umair Haque stört etwas, dass er bei jedem Vortrag, den ich bisher von ihm gesehen habe, mehrfach gut hörbar die Nase hochzieht. Deswegen sind die Inhalte natürlich nicht minder spannend. Dennoch …

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