Wer “In der Grotte der Erinnerung” sitzt, läuft Gefahr, darin zu verharren, anstatt sich mit offenen Augen der Zukunft zuzuwenden. Diesen Fehler begeht Medienprofessorin Miriam Meckel in ihrem Essay in der FAZ. Meckel schreibt:
Bislang ist es der Journalismus, der die Menschen mit Neuigkeiten aus der Welt versorgt, sie durch gut recherchierte und erzählte Geschichten interessiert und fasziniert. Das bringt zum Beispiel nicht nur dem Leser einer Tageszeitung oft ein Lesevergnügen, es sorgt auch für die soziale Synchronisation unserer Gesellschaft. […] Das Internet hat dem professionellen Qualitätsjournalismus einen bunten Strauß an publizistischen Aktivitäten an die Seite gestellt, bei dem Amateure zu Autoren werden, die eine subjektive, volatile und momentorientierte Berichterstattung praktizieren.
Mal abgesehen davon, ob “die” Gesellschaft nicht eher durch Fußballübertragungen, ”DSDS” und keineswegs gut recherchierte und erzählte Geschichten in der ”Bild” synchronisiert wird – wer sagt denn, dass es dem Journalismus zwangläufig schlecht bekommen muss, wenn sich im Netz Profis die publizistische Bühne mit Amateuren teilen? Wenn nun hinterfragt wird, ob Qualitätsjournalismus nicht zum Beispiel auch kollaborativ im Zusammenspiel mit Nutzern entstehen kann? Besteht nicht momentan vielmehr eine Chance, aus erstarrten Medienstrukturen auszubrechen, die keineswegs nur den neuerdings so oft beschworenen Qualitätsjournalismus hervorbringen, sondern auch viel zu viel Mittelmaß und Gleichförmigkeit?
In Miriam Meckels Überlegungen gibt es nur ein Entweder – Oder. Entweder Journalismus finanziert sich auch weiterhin über Medienunternehmen als Mittler, die Werbeplätze und Abos verkaufen, Journalisten bezahlen und damit indirekt Journalismus finanzieren oder der Qualitätsjournalismus verschwindet.
In Ariana Huffingtons Modell eines stiftungsfinanzierten Journalismus sieht Meckel keine Lösung, denn dann würden nur Themenbereiche abgedeckt für die sich auch Stifter fänden. Andere Modelle erwähnt die Medienprofessorin (bewusst?) gar nicht erst. Damit lässt sie eine ganze Reihe interessanter Experimente, relevanten Journalismus im Netz zu finanzieren, unter den Tisch fallen. Diese Ansätze entstehen aber gerade vor allem in der anglo-amerikanischen Medienlandschaft, die am meisten unter Druck steht, und sie verdienen Beachtung. Eine kleine Auswahl:
- Der Journalist David Cohn hat in San Francisco die Plattform Spot.Us gegründet. Auch hier werden Spenden gesammelt, aber nicht über eine Stiftung. Bürger können Themen und Recherchen, die ihnen wichtig sind (und die z.B. der oft bräsige San Francisco Chronicle nicht abdeckt), vorfinanzieren. Die Geschichten werden auf der Plattform veröffentlicht. Wenn klassische Medien die Berichte übernehmen, zahlen sie dafür Honorare und die Spender/ Investoren bekommen ihr Geld zurück. Die Anfänge sind vielversprechend. Es bleibt zu hoffen, dass sich das Modell möglichst bald als tragfähig erweist, denn San Francisco könnte schon bald die erste amerikanische Großstadt ohne eigene Tageszeitung sein.
- Chicago Now, ein neues Projekt der Chicago Tribune, das im Sommer starten soll, versucht, Journalismus in einer weniger statischen und geschlossenen Form anzubieten. Statt fertige Texte und Videos ins Netz zu stellen, dienen Themen als Rohstoff, an deren Weiterentwicklung die Community gemeinsam arbeitet.
- Ein ähnliches Modell betreibt der Schweizer Journalist Jürg Vollmer seit kurzem mit seiner für fünf Jahre von Investoren aus dem Bildungssektor finanzierten Osteuropa-Plattform CEEkom, deren Kern ein ”Social Media Newsroom” ist. Journalisten, Bürger und Experten können an dieser Plattform mitarbeiten. Mehr dazu in meinem Interview mit Vollmer.
- Die New York Times und der britische Guardian experimentieren mit offenen Schnittstellen. Kerngedanke: Journalismus muss sich davon verabschieden, nur auf geschlossenen Plattformen stattzufinden. Webnutzer sollen interessante Inhalte überall dort mit hinnehmen, einbinden und diskutieren können, wo sie sich bevorzugt aufhalten, z.B. bei Facebook.
Diese unterschiedlichen Ansätze haben eines gemeinsam: Sie stellen die Interessen und Netzgewohnheiten der Nutzer in den Mittelpunkt und ermöglichen, dass etwas radikal Neues entsteht. Dabei wird zugelassen, dass die gängige Auffassung von Journalismus (die Redaktion entscheidet, worüber berichtet wird, der Leser konsumiert die gefilterte Nachrichten- und Themenlage) auf den Kopf gestellt wird. Nutzer entscheiden nun, worüber berichtet, was überhaupt finanziert werden soll. Ihre Expertise, ihr Engagement wird viel ernster genommen und bewirkt viel mehr, als ein Kommentar unter einem fertigen Artikel, den der betreffende Autor im Zweifelsfall nicht einmal liest.
Auch in einem weiteren Punkt greift Frau Meckels Essay viel zu kurz:
Ein Großteil der Inhalte, die in Weblogs und auf Social Networking Sites präsentiert und diskutiert werden, stammen aus der Recherche und Publikation der traditionellen Medien. Ohne deren Angebote wären viele Weblogs inhaltlich eine wüste Ödnis. […] Wie in einer Dienstleistungsgesellschaft, in der sich alle nur noch gegenseitig die Haare schneiden, bereiten wir am Computer die Informationen der anderen aus dem Netz neu auf, gefangen in einer Zeit- und Inhaltsschleife der fortwährenden Reproduktion und Rekombination des immer Gleichen.
Wird nicht eher umgekehrt wird ein Schuh daraus? Ein immer größerer Anteil von Journalismus hat seinen Ursprung in Blogs von Experten und engagierten Bürgern, bevor klassische Medien mit teilweise erheblicher Verzögerung und inhaltlicher Vereinfachung Themen aus dem Netz aufgreifen – zuletzt gut zu beobachten am Beispiel der Netzsperren von Ursula von der Leyen. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema abseits von Politikerverlautbarungen findet vor allem im Web statt. Nur wenige Medien, darunter Die Zeit, haben inzwischen mit eigenen guten Texten nachgezogen.
Und nicht zuletzt begeht Miriam Meckel einen weiteren Denkfehler, wenn sie einen Graben zieht zwischen klassischen Journalisten und neuen Netzpublizisten. Das Internet eröffnet Chancen vor allem für freie Journalisten, ohne Umweg über Verlage und Medienkonzerne als Auftraggeber direkt zu publizieren und ihren Markenwert als Autoren, Referenten, Moderatoren oder Berater zu steigern.
Profi-Journalisten werden nicht plötzlich zu Amateuren, wenn sie ohne einen Auftraggeber im Rücken im Netz publizieren. Ebensowenig wie vor allem die Lokalseiten von Regionalzeitungen mit professionellem Journalismus gefüllt sind, wenn sie von pensionierten Lehrern uind Vereinsprotokollführen vollgeschrieben werden. Und auch unter den nicht-journalistischen Blogs finden sich publizistische Perlen, die wir nie entdeckt hätten, wenn sie nicht im Netz plötzlich eine Stimme bekommen hätten.
All das unterschlägt Frau Meckel völlig. Verlagslobbyisten werden ihren Essay mit Genugtuung lesen, denn er liefert ihnen Futter für ihre Argumentationslinie, sie bräuchten eine Kulturflatrate, Leistungsschutzabgabe oder eine Mehrwertsteuerbefreiung, um auch künftig Qualitätsjournalismus finanzieren zu können. Was sie damit meinen: Um Kompensation für wegbrechende Einnahmen zu haben. Für die spannende und gerade erst beginnende Debatte, ob es für Qualitätsjournalismus im Netz die Mittelsmänner der Medienkonzerne überhaupt noch braucht und wenn ja, in welcher Form und in welchem Ausmaß – dafür liefert Meckels Beitrag keine Anstöße. Dafür empfehle ich diese beiden lesenswerten Texte von Ottfried Jarren bei Carta und Andreas Göldi bei netzwertig.